Sie wird die Königin der Pässe genannt. Als MotorradfahrerIn muss man mindestens einmal im Leben dort hochgefahren sein, heißt es. Es wird in Motorradforen ein riesen Trara um diese Pass-Straße gemacht.
Die Königin der Pässe
So habe ich mich entschlossen, dem Mythos Stilfserjoch auf den Grund zu gehen. Da ich bekannterweise unter leichten Höhenproblemen leide, war meine Gegenmaßnahme eine Teilnahme bei einer Damen-Gruppen-Tour mit Coaching: Die Kurvenkönigin von Swiss Lady Rider. Hierzu berichte ich noch gesondert. Auf der dreitägigen Tour durch die Schweiz und Italien wird man in entspannter Atmosphäre unter Gleichgesinnten auf die Königin der Pässe zum krönenden Abschluss vorbereitet.
Tageszeit ist entscheidend
Gestartet wird pünktlich um 8.30 Uhr am Hotel in Mals. Wir sind alle etwas aufgeregt. Es wird kurz abgesprochen, in welcher Reihenfolge wir uns auf den Weg machen. Coachin Conny startet ihre Road Glide und wir wie ihre Küken hinterher.
Die Tageszeit zur Befahrung des Stilfserjochs spielt eine wichtige Rolle. Je eher, desto freier. So waren wir innerhalb von 15 Minuten schon in Prad. Dort startet die Strada del Passo dello Stelvio. Genau die Seite mit den sagenumwobenen 48 Kehren.
Es war, wie erwartet, nicht viel los. Im unteren Teil gibt es nichts spektakuläres zu fahren oder zu sehen. Der Schwierigkeitsgrad ist hier: Kindergarten. Ein paar ampelgesteuerte Baustellen lassen in der Wartezeit die Aufregung noch ansteigen.
Ja, wann kommen denn die Kehren?
Gefühlt fährt man ewig seicht bergauf. Nach einer Einhausung kommen die ersten zwei Kehren, die genügend Platz zum Zirkeln geben, auch mit Verkehr aus der Gegenrichtung.
Und dann? Ja, dann kommt lange wieder nichts bis Trafoi. Das Display meines Navihandies am Lenker ist schwarz. Ich tracke mit, will aber den Streckenverlauf nicht sehen. Weiterhin murmle ich in meinen Helm: "Ich schaffe alles, was ich mir vorgenommen habe". In Trafoi die nächsten zwei Kehren. Leider lässt die momentane Anspannung keinen Blick in die Landschaft zu. Nach Trafoi gibt es nämlich wieder nur einen leichten Anstieg, den man genießen könnte.
Dann wieder zwei Kehren im Wald, die Straße wird schmaler. Einige RadfahrerInnen sind bereits schon länger auf ihrer Tour bergauf. Die lassen sich ganz easy überholen.
Nach einer weiteren flachen Strecke kommen sieben Kehren. Hier groove ich mich ein. Ich stelle fest, dass der Niveau-Unterschied in den Kehren gar nicht so groß ist, wie erwartet. Langsam entspanne ich mich und beginne, die Strecke zu genießen.stilfser joch motorrad
Am Restaurant Zum weissen Knott halten wir kurz an, um auf den Rest der Truppe zu warten. Dann starten wir zur zweiten Hälfte den Berg hinauf.
Alles eine Frage der Technik
Wir nudeln uns von Kehre zu Kehre, Conny fährt eine beneidenswerte Linie mit ihrem Dickschiff. Meine Scout mutet dagegen an wie eine Gazelle ;-) Es macht riesen Spaß, ihr hinterher zu fahren und ihrer Linie zu folgen.
Wichtig ist die Beherrschung der richtigen Fahrtechnik:
- Blick nach oben vor der Kehre, um den Verkehr zu checken. Bei Fahrzeugen von oben, unbedingt rechtzeitig anhalten!
- Richtiger Gang (in Rechtskehren brauche ich den 1. Gang, einige Linkskehren sind auch im 2. Gang fahrbar)
- Bei Rechtskehren ausholen, Kopf unbedingt bewusst nach rechts drehen und zum Kurvenausgang weit vorausschauen
- Leichter Lenkimpuls nach links, um dann wie von Zauberhand in die Rechtskehre zu kippen. Nennt sich auch Neudeutsch Countersteering
Mythos Stilfser Joch - Gedanken
Was soll ich sagen? Es wird mehr Tamtam darum gemacht, als es für mich schlussendlich war. Ja, mit nem Cruiser ist man etwas begrenzt unterwegs. Doch es ist nichts, was man mit ein wenig Fahrerfahrung nicht fahren könnte. Der Niveau-Unterschied in den Kehren ist nicht so groß, wie erwartet. Wer bereits Kehren fahren kann, wer schon das eine oder andere Mal in Österreich und Italien unterwegs war, der hat keine Probleme, die 48 Kehren des Stilfserjochs zu knacken. Die kommen ja auch nicht alle wie am Fließband.
Tageszeit mit Bedacht wählen! Entweder in der Früh oder am späten Nachmittag machen. Wir hatten kaum Autos, mal ein Lastwagen und ein Bus. Ich habe mir sagen lassen, es soll Wohnmobilisten geben, die da unbedingt mit ihrem fahrenden Kühlschrank hoch bzw. runter müssen.
Ich hätte jetzt auch kein Problem, das Stilfserjoch nochmals mit Schatzi zu fahren. Im Gegensatz zur Edelweißspitze, die ich aufgrund des Kopfsteinpflasters gar nicht mehr brauche. Bei dieser Tour wurde für mich die Königin der Pässe entmystifiziert. Been there, done that.
Das Coaching mit Conny konnte mir einiges weiter helfen, mit meiner latenten Höhenangst auf dem Motorrad umzugehen.