Provokativ? Ich? Nein - niemals! Klar, als Frau mit Motorrad bewegt man sich unter 86% Männeranteil auf deutschen Straßen. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich deshalb zum Mann mutieren muss.
Während auf der einen Seite Hersteller für Motorradbekleidung denken, dass rosa und pink die passende Farbe ist, um das wenig vorhandene weibliche Klientel zu befriedigen, so scheinen andere wiederum der Meinung zu sein, dass es völlig ausreicht in ihren "Gear-Clips" ein Mädchen als Co-Moderatorin zu zeigen (sie darf was sagen und ist vollkommen bekleidet). Der Bekleidungshersteller Held hatte die zündende Marketing-Idee, moderierte Produktvideos zu erstellen. Grundsätzlich ein guter Gedanke, ich schau mir auch gerne bewegte Bilder an. Hier sind die Protagonisten Bruno und Sarah, die uns in einer "Schrauberwerkstatt"-Kulisse bisher vier Produkte näher bringen möchten:
- einen Race-Vollleder-Kombi, getestet durch einen Stuntfahrer
- einen maßgeschneiderten Rennkombi
- eine 2-in-1 Jacke, ebenfalls durch bereits o.g. Stuntfahrer getestet
- und, um auch die Retrobiker nicht zu vergessen - Vintage-Style-Klamotten.
In den Videos darf Sarah enthusiastisch die Zuschauer mit "Hallo, Helden der Straße" Willkommen heißen, mit Bruno ein Schwätzchen halten und im Rest der Gear-Clips werden - wie auch anders erwartet - Männer in Rennanzügen auf der Renne gezeigt. Zwischendurch dürfen Stuntfahrer oder Produktentwickler zu Wort kommen. Sollte es die Klamotte auch für Frauen geben, darf Sarah am Schluss das auch zu Kund und Wissen tun. Erstens erwähnten Rennanzug bekommt sie sogar "angezaubert" - hui, wie toll! Aussage Sarah: "Fühlt sich gut an und sieht geil aus" - öh - ja. Wenn das also das Maß für Sicherheit ist ...
Bei der Vintage-Klamotten-Version sehen wir, wie Bruno uns an Sarah, sitzend auf einem in der Werkstatt stehenden Motorrad, das tolle Vintage-Outfit anpreist. Dass Sarah die Sachen etwas zu groß sind, fällt nicht weiter ins Gewicht. Ich habe mich schon gefreut, dass sicherlich jetzt etwas in der Art "wir fahren gemeinsam mit unseren Scramblern über Schotterwege" gezeigt wird. Nee - nix war's.
Wir sehen mal wieder, wie ein sonnenbebrillter, eierschalen Behelmter mit seiner ochsenaugigen BMW cool durch "urban" Terrain cruist. Die Produkttante erzählt uns, dass der Biker auch coole und sichere Klamotten auf seinem Bike anziehen will. Tatsächlich? Sozias gibt es im Held-Universum nicht, und wenn, dann tragen sie ein Kleidchen und Wedges (Keilpumps) wie im Imagefilm "Urban" (Youtube-Channel). Selbstfahrerinnen sind in der Evolutionsgeschichte des Motorrades noch so neu, dass nicht drauf eingegangen werden muss.
Zum Schluss darf uns Sarah noch mitteilen, dass es die Jacke für Bruno auch noch in einer anderen Farbe gibt. Ich bin mal wieder begeistert. Wenn Held doch schon Renn- bzw. Vintage-Sicherheitsklamotten für Frauen herstellt, warum zeigen sie das nicht richtig groß? Tue Gutes und sprich darüber! Heiland Sack - wer macht denn da bitte das Marketing?
Meine Frage auf der Held-FB-Seite, warum man Sarah nicht auch mal in Aktion sieht (oder auch eine andere Frau) und die Klamotte mal vorführt, wurde bisher nicht beantwortet - aber geben wir ihnen noch etwas Zeit.
Apropos Youtube Channel von Held: Die Marketingabteilung scheint diesen nach einem Jahr wieder für sich entdeckt zu haben. Und jetzt gibt es Gear-Clips und Imagevideos am laufenden Band. Das "Urban"-Video ist eine Beleidigung an alle modernen Frauen. Wir leben im Jahr 2016 und wir sind in Europa stolz darauf, dass wir uns als Frauen (mehr oder weniger) gleichberechtigt in dieser Welt bewegen können, dass wir nicht als Freiwild betrachtet werden und wir nicht auf Gedeih und Verderb von unseren Männern abhängig sind. Wir leben unser Leben, wir verdienen unser eigenes Geld, fahren selber Auto, sind Berufskraftfahrerinnen, Lokführerinnen, Pilotinnen und fahren selbst Motorrad. Aber bei Letzterem scheinen die Hersteller immer noch im vergangenen Jahrtausend zu stecken.
Ja, ich nehme solche Themen ernst, denn sie spiegeln das Bild der Frau in der Gesellschaft wider. Ich will keine Rückentwicklung - vor allem gerade jetzt in unserer aufgewühlten Zeit nicht. Die Frauen vor mir haben sich das, was wir genießen können, hart erkämpft und wir sind weiter mitten drin. Und wie wir sehen, werden von namhaften Unternehmen immer noch Frauenbilder verbreitet, die nicht mehr in unsere Zeit passen.
Es ist so platt, billig und klischeebehaftet, dass uns Frauen (dümmlich eis-schleckender Weise) unterstellt wird, auf Männer mit roten Autos abzufahren und uns dann mit dem Sommerkleidchen und Keilpumps lieber auf das coole Mopped des Fliegerbrillen-Calimeros setzen.
Gibt's da in der Firma niemanden, der sich das mal aus der Perspektive der Frau anschaut? Auch wenn wir "nur" 14% Fahrerinnen in Deutschland sind, so gibt es auch genügend Frauen, die gerne hinten mitfahren - aber nicht im Sommerkleid und in Pumps. Es ist nicht "heroic" eine Frau oder überhaupt jemanden ohne Schutzkleidung mitzunehmen.
Ich kaufe bei Euch, wenn Ihr mir gesteht, dass wir Frauen schützenswerte Individuen sind, egal, ob nun selbst am Gashahn oder auf dem Soziabrötchen :-) Aber sicher nicht mit diesen Chauvi-Videos!
Alle Bilder aus dem Video "Urban" von Held