Hier schreibt ein männlicher ;-) Insider über den Motorrad-Markt der Zukunft - Frauen. Das fand ich so beeindruckend, dass ich diesen Artikel einfach übersetzen musste: Damit er nicht bei LinkedIn untergeht und eine noch größere Leserschaft erreicht. Aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung des Autors von Michael Uhlarik.
Drei Männer und eine Baby BMW
Vor vielen Jahren besuchte ich einen Produktplaner bei einem japanischen OEM, um ein neues Motorrad von BMW zu begutachten. Das Motorrad versprach, die Industrie zu revolutionieren, denn es war ein Motorrad, das speziell auf Frauen ausgerichtet war.
Es war 2001, ich war Junior-Motorraddesigner, und der Organisator klang furchtbar aufgeregt. Einige meiner Kollegen waren es nicht. Für viele von ihnen waren Frauen so was wie ein Motorrad-Accessoire, Sozia oder Kleiderständer - und keine Zielgruppe. Diese Denkweise war in der modernen Gesellschaft natürlich zutiefst verpönt, aber in den Hallen eines Motorradherstellers konnten solche Äußerungen offen kommuniziert werden, da nur sehr wenige Frauen leitende Positionen innehatten.
Das Motorrad war die F650 Scarver (F650CS in Nordamerika). Die Scarver, eine stark modifizierte Version der neuesten F650GS, die damals das meistverkaufte Motorrad von BMW war, besaß eine Menge halbtransparentes Plastik, eine weich geformte Karosserie, einen wartungsfreien Riemenantrieb und eine Farbpalette, die ein Freund auf den Namen "Cosmetics Counter Blue" (Kosmetik-Theken Blau) getauft hatte. Sie war schwerer und langsamer als ihre F650GS Schwester, und viel teurer.
(oben links) Ein Teil des offiziellen Zubehörs für den Aufbewahrungsraum im „Tank“, das BMW für die Scarver anbietet.
(oben-rechts) Wahrscheinlich die beste Anwendung von allen.
„BMW wird den Frauenmarkt dominieren“, rief der Planer aus, der die Versammlung einberief. Die eingeladenen Männer fühlten sich irgendwie nicht wohl, liefen herum, fassten das Motorrad gelegentlich an wie ein außerirdisches Artefakt und rätselten, ob es gelungen war oder auch nicht.
Die Treibstoffzufuhr erfolgte durch einen Tank unter dem Sitz. Der traditionelle Tank war zum flachen Staufach umgestaltet, eingerahmt von transparenten Gepäckschienen.
„Was ist hier los?“ fragte mein Chef und zeigte auf das Staufach. „Eine Handtasche?“
Es gab etwas Gelächter, ein paar Lachsalven. Dann steckte der Planer die Schlüssel ein und das Meeting zog in einen Konferenzraum, wo wir uns die BMW Marketingkampagne für die Scarver ansahen. In Lifestyle-Magazinen, die nichts mit Motorrädern zu tun hatten, präsentierten die Medien junge, vertrauensvoll wirkende, selbstbwusste Frauen mit dem Motorrad.
(oben) Eine BMW Marketinganzeige für die F650CS. Überraschend modern und erfrischend. Bild mit freundlicher Genehmigung des BMW Car Club of America
Die Scarver war ein Verkaufsflop und verschwand nach dem ersten Produktionslauf still und leise in der Versenkung. Die Lektion, die die meisten Planer und Design-Stimmen aus der Episode mitnahmen, war, dass es keinen Markt für ein bestimmtes Frauen-Motorrad gab. Aber diese dunkle Schlussfolgerung, wenn man sie durch eine andere Linse betrachtet, ist erhellend.
Männer sind vom Mars, Frauen woher auch immer wir es ihnen sagen
Seit der Erfindung des Motorrads vor 120 Jahren, wurden Frauen in erster Linie als Werkzeuge verwendet, um Motorräder „an den Mann zu bringen“. Frauen, kaum mehr als Zierrat in einer testosterongetränkten Industrie. Frauen galten lange Zeit als körperlich und geistig unfähig, Motorräder zu bedienen. Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich die Botschaft dahingehend, dass Motorräder zu schmutzig für die ideale westliche, moderne Hausfrau der 1950er Jahre sei.
Gelegentlich schlugen Hersteller vor, dass ein Motorrad ein praktisches und stilvolles Gefährt für eine Frau ist, um sich damit sehen zu lassen. Piaggio und Honda unternahmen ernsthafte Anstrengungen, um die Vespa und die Cub an alle zu vermarkten, wobei sie sich u.a. speziell an Frauen richteten. Aber es handelte sich nicht um „echte“ Motorräder, wie der Mainstream sagt, und die Marketingbotschaft implizierte, dass Roller so einfach zu bedienen waren, dass „sogar eine Frau sie bedienen konnte“.
Die Mainstream-Marketing-Position in der heutigen Zeit ist, dass Frauen sexuelle Requisiten auf Motorrädern sind, um es an die männliche Zielgruppe zu verkaufen. Auch wenn die Normalisierung dieses Bildes nicht neu oder einzigartig für das Motorradfahren ist, so hat sie doch ihre Wurzeln in einer Plakatkampagne, die von NVT (der sterbenden Fusion von Norton, Villers und Triumph) in den 70er Jahren durchgeführt wurde, als das verzweifelte Unternehmen auf dem Boden des Marketingfasses kratzte, um den Absatz zu toppen (https://andover-norton.co.uk/en/gallery/1/norton-girls). Es überrascht nicht, dass die Pin-up-Girls das Unternehmen nicht gerettet haben - aber nicht, bevor sie das Image einer hilflosen Tussi in die kollektive Ägide der Motorradmarketing-Branche als beste Art und Weise, Motorräder zu bewerben, zementierten.
Marketing soll unterstützen, nicht beleuchten
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, gelten Motorradfahrerinnen als ein Fluch der Gegenkultur, eher etwas unbeholfene Außenseiterinnen, anstatt als heroische Rebellinnen, wie ihre männlichen Pendants. Selbst in sozial fortschrittlichen Gesellschaften machen Frauen nur wenige Prozent des Motorradabsatzes aus. In viel chauvinistischeren Ländern wie Italien, Spanien, Brasilien, Indien und China, wo Motorräder und Roller millionenfach an eine Vielzahl von Verbrauchern verkauft werden, stellen weibliche Käufer rund 20 Prozent aller Verkäufe.
Frauen sind also nicht sicher, Motorräder zu kaufen und zu benutzen. Das zumindest sagt die gängige Branchenweisheit.
Das Marketing geht davon aus, dass der Anteil weiblicher Käufer gering ist und sie daher nicht von Motorrädern angezogen werden. Deshalb handelt es sich nicht um einen Markt, der es wert ist, verfolgt zu werden.
Passt nicht in den Markt? Die Verkaufsstatistiken sagen das, aber wir haben diese müde Erklärung schon vor zehn Jahren gehört, als die Industrie behauptete, es gäbe keinen Markt für moderne, aufregende Kleinkrafträder. Korrelation bedeutet nicht Ursache.
Von Hühnern und Eiern
Nach der unerwarteten Einführung der Honda CBR125R im Jahr 2004 schossen die Verkäufe von kleinen, modernen und sportlichen Motorrädern durchs Dach. Die winzige Honda wurde der allgemeine Bestseller in Großbritannien, ausgerechnet in einem testosterongetränkten Motorrad-Markt, wo Macht und Geschwindigkeit die Könige sind. Heute sind es dieselben Produktplaner und Marketingexperten, die sagten, es gäbe kein Potenzial für kleine, grandiose Motorräder, die lautstark die neue 300er- bis 500er-Klasse pushen.
Jahrelang gab es nur wenig Auswahl, und nichts davon war wirklich gut. Erst 2010, als die Nordamerikaner ein kleines, leichtes, erschwingliches und fehlerverzeihendes Motorrad wollten, mussten sie auf eine hässliche alte Kiste wie die Suzuki GS500, Kawasaki EX250 oder eine Suzuki Savage aufsteigen. Als Ergebnis waren die Verkäufe von kleinen Motorrädern unterirdisch, was zu dem Missverständnis führte, dass niemand sie wollte.
(oben) Die Suzuki Savage ist perfekt ausgestattet, aber absolut ungeeignet. Sie ist typisch für die Reaktion der Branche auf Fahrer mit kurzen Beinen oder Anfänger, die sich nach einem großen Cruiser im amerikanischen Stil sehnen. Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie aus seiner mageren Leistung herausgewachsen sind.
Bei Frauen auf Motorrädern ist die Situation in etwa parallel. Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, kaufen Frauen nur kleine, untermotorisierte und preiswerte Motorräder. Nur sehr wenige kaufen große oder leistungsstarke Maschinen, und der Trend ist seit Ewigkeiten so.
Aber die Zusammenfassung hier sollte nicht sein, dass es keinen entwicklungsfähigen, frauenspezifischen erstklassigen Motorradmarkt gibt, sondern dass Frauen nicht mögen, was aktuell angeboten wird. Die Frage, die man sich stellen muss, ist: „Warum nicht?“ und die darin versteckte Gelegenheit finden.
Was Frauen wollen
Viele Frauen lieben auch Motorräder, und hier kommt der wenig überraschende Teil: Sie lieben sie auf die gleiche Weise wie Männer. Jede Motorradfahrerin, die von Unternehmen befragt wurde, mit denen ich über fünfzehn Jahre zusammengearbeitet habe, beantwortete Marketing- und Produktplanungsfragen genau so wie die Männer in der gleichen Gruppe. Sie liebten die Freiheit, das Gefühl, sich in die Kurven zu legen, die Kraft, die Geschwindigkeit und das Image des Motorradsports. Punkt.
(oben) Maria Herrea bei der Moto3 Grand Prix Weltmeisterschaft. Ihre geringe Körpergröße schadet ihrer Konkurrenzfähigkeit auf einer 100 kg Maschine sicher nicht.
Bild mit freundlicher Genehmigung von Magmotores.com
Der einzige Punkt, weiterhin die Geschlechter zu trennen, war Körpergröße: Also Sitzhöhe und Schwerpunkt. Ein Motorrad zu fahren, das zu groß ist und drei Mal so viel wiegt, wie man selbst, bereitet vielen kleineren Menschen Unbehagen.
Das ist kein neues Problem, weil es auch kleine Männer gibt. Einer meiner besten Freunde fährt seit zwanzig Jahren, besaß Dutzende von Motorrädern, fuhr regelmäßig mit einem 250er Grand Prix Replikat auf der Rennstrecke und tourte quer über den Kontinent. Aber er ist 1,70 m groß. Seit Anfang an war er auf der Suche nach passender Motorradkleidung in guter Qualität oder nach Hochleistungsmotorrädern, die er für mehr als zwei oder drei Stunden ohne Gelenkschmerzen fahren kann.
Diese Probleme haben 90% der Frauen, die Motorradfahren. Nur würde kein Händler oder Hersteller es wagen, meinen männlichen Freund auf ein lahmes „Anfänger“-Motorrad, wie eine Savage, als einzige Option zu verweisen, denn die hat ja eine niedrige Sitzhöhe. Sowohl Männer als auch Frauen fühlen sich unwohl, wenn sie ein zu großes Motorrad bewegen. Doch wenn eine Frau einen Motorradladen betritt, muss sie sich zwangsläufig oder unterbewusst mit dem begnügen, was „in ihrer Größe“ zur Verfügung steht.
Mein männlicher Freund hat jahrzehntelange Erfahrung und weiß, was er will: die gleiche großartige, attraktive, aufregende Maschine, die der Rest von uns fährt. Es ist nicht verwunderlich, dass dies auch für die meisten Motorradfahrerinnen gilt. Wenn auf dem Markt mehr Wahlmöglichkeiten angeboten werden, wie in China oder Indien (hier sind die Durchschnittsgrößen zwischen den Geschlechtern weniger ausgeprägt) und alle Motorräder niedrige Sitzhöhen haben, sind die Verkäufe an Frauen viel höher.
Aus Liebe zum Geld
Die Marketingabteilungen der OEMs gehen den Weg des geringsten Widerstands, vor allem in Nordamerika, weil sie der Meinung sind, dass der Gewinn nicht das Risiko wert ist, etwas Besseres zu fordern. Wie bei den Kleinkrafträdern zuvor, spiegeln die aktuellen Verkaufszahlen diese Schlussfolgerung nicht wider.
Die Motorradindustrie erklärt den Frauen, wie sie Motorräder sehen sollen, anstatt die Frauen selbst entscheiden zu lassen
In allen modernen Volkswirtschaften überholen Frauen die Männer in der Hochschulbildung, während weibliche Absolventen in Schlüsselberufen mit hohem Wert wie Medizin und Recht zahlenmäßig langsam überlegen sind. Die Millenium-Generation entwickelt eine wachsende Flut wohlhabender, anspruchsvoller und aggressiver weiblicher Konsumenten, die endlich die geschlechtsspezifische Kluft in Wirtschaft und Politik schließen will.
(oben) BMW, vielleicht, macht es "richtiger" als jede andere Marke.
Frauen sind bereits heute oft besser als ihre männlichen Kollegen und üben einen größeren Einfluss auf die Ausgaben im Haushalt und die Produkttrends aus. Das Ignorieren dieses Marktsegments, um Männer zu befriedigen, ist nicht nur kontraproduktiv, sondern wird mit ziemlicher Sicherheit die Nachhaltigkeit des Motorrads als Mainstream-Produkt beeinträchtigen.
Da die Entwicklungsländer immer reicher werden, strebt der Kern der Motorrad-Käufer nach Autobesitz, so wie es im Westen in den Nachkriegsjahren der Fall war. In China und Indien, den beiden größten Motorradmärkten der Welt, geschieht dies bereits.
Der Pool potenzieller Verbraucher schrumpft, das heißt, wenn 50 % der Bevölkerung ignoriert werden, werden 50 % der potenziellen Verkäufe unter den Tisch fallen. Warum sollte irgendein Unternehmen so etwas wollen?
Angesichts dieser Tatsachen, würden die Hersteller gut daran tun, um wunschgemäße Motorräder zu bauen: mit hoher Leistung, High-Tech und so konstruiert, um kleinere, leichtere Kunden zu bedienen. Dabei sollten sie sich bemühen, sie mit echten Frauen, die Motorräder um ihrer selbst willen lieben, zu vermarkten.
Das ansprechendste Merkmal eines Motorrads, der Faktor, der die Meinung des Verbrauchers gegenüber einer Marke am meisten beeinflusst, ist nicht die Größe des Motors oder die Aggression, die in der Werbung impliziert wird, sondern der Stil und Charakter der Menschen, die mit dem Fahren verbunden sind.
Die erste Marke, die viele selbstbewusste, junge Frauen auf ihre Motorräder bekommt, wird einen Verkaufs- und Branding-Erfolg ernten, wie sie diese Branche seit langem nicht mehr gesehen hat.
Die Marken, die weiterhin Frauen als Objekte benutzen? Sie werden weit, weit zurückgelassen.
Über den Autor
Michael Uhlarik ist ein international preisgekrönter Motorrad-Designer, mit 16 Jahren Erfahrung in der Entwicklung von Motorrädern für Yamaha, Aprilia, Piaggio, Derbi und viele andere. Er ist ein erfahrener Analyst der Motorradindustrie und nebenberuflich Dozent für Industriedesign. Er lebt in Nova Scotia.