Immer wenn ich den gut gemeinten Rat höre "Mach doch mal n Fahrsicherheitstraining" stellen sich mir die Nackenhaare. Wird oft und gerne in diversen FB-Gruppen, Foren etc empfohlen. Dann schau ich mir die Maschine des Empfängers dieses wunderbaren Ratschlags an und denke mir: "Jupp, könnte gehen".
Dieser überaus freundliche Ratschlag an Fahranfänger hatte mich auch nach meinem bestanden Führerschein erreicht. Dann habe ich mir meine 20 Jahre alte Virago angeschaut und gedacht: "Nope". Warum nur nicht? Tja, einem Tourer-, GS-, Sportler- oder Nakedfahrer kann man das so einfach nicht erklären. Ich versuche es aber trotzdem mal.
Sitzen wie auf dem Sofa
Es beginnt mit der Sitzposition: Als Chopperfahrerin mit vorverlegten Rußrasten sitzt Frau nach hinten orientiert. Die Beine müssen zur Bremse und Schaltung nach vorne gebracht werden. Der Körper-Schwerpunkt ist also äußerst ungünstig weit hinten. In der Praxis bedeutet das: Am Berg mit 260 kg Mopped unterm Arsch sind beide Beine auf dem Boden. Die Fuhre am Berg mit nur dem linken Bein und der Fußbremse zu halten ist eine kippelige Angelegenheit. Und mit Berg meine ich auch Berg und nicht die höchste Erhebung der Lüneburger Heide. Sicher geht das, ist aber für mich vollkommen unangenehm, da wie erwähnt, sehr kippelig und instabil. In meiner Fahrschulzeit habe ich nie darüber nachgedacht, einfach den rechten Fuß auf die Bremse der Duke gestellt und gut war's. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit meinem Fahrlehrer extra Anfahren am Berg mit Vorderbremse geübt habe und er meint: "Damit wir das auch mal gemacht haben. Aber brauchst Du ja normalerweise nicht." Tja, dass ein 20 Jahre altes Mopped einer anderen Kategorie doch ganz anders zu handeln ist, hat er mir verschwiegen.
Zudem hat die nach hinten verlagerte Sitzposition den Nachteil, dass "aktiver" gefahren werden muss - heißt: für schnellere Fahrt muss ich mich weiter nach vorne beugen, immer fein die Arme locker und das breite Ruder sanft im Griff.
Mit dem LKW durch's Nadelöhr
Wo wir schon bei der nächsten Herausforderung wären: Fahr mal mit ner 92er Dragbar, nem Radstand von 162,5 cm und nem 19" Vorderrad enge Wendungen. Jo, Schatzi kann das (naja, der hat ja auch nur ne 88er Dragbar). Ich habe nun mal eine Flügelspannweite, die es bei Linksrumwendemanövern erschwerlich macht: mein rechter Arm kommt dann nicht mehr ganz ans Gas, geschweige denn Bremse ... (Anm. der Red.: Nein, die Protagonistin wird sich keinen schmaleren Lenker an Susi bauen. Sie ist mit den Eigenheiten einer solchen Lenkergeometrie bereits bestens vertraut).
Gefahrbremsmanöver sind durchaus machbar - aber auch wirklich nur in Gefahrensituationen - habe ich bereits live und in Farbe ausprobiert. Für Übungszwecke sollte man sich vor Augen halten, dass bei gleichzeitiger Betätigung von Vorder- und Hinterbremse der Fuß recht schnell von vorne nach hinten zu nehmen ist, um die Maschine, die dann gewaltig von hinten schiebt, auch mit beiden Füßen zu stabilisieren. Sind wir doch mal ehrlich - wer will bei so einem Manöver einer "Sicherheitsübung" absichtlich sein gepflegtes Mopped eventuell auf die Seite legen? Niemand, deshalb wird auch niemand, dessen Hobel kein ABS hat, mit nem 20 Jahre alten Mopped voll in die Eisen steigen, wenn er es nicht gerade wirklich, wirklich, wirklich muss.
Nix für Tekkis oder Smartphonefahrer
Wo wir gerade davon sprechen, so modernen Schnick-Schnack wie ABS oder Traktionskontrolle etc. is ja auch nicht. Hatte ich schon mal das Vergnügen mit, ist mir bekannt, aber überhaupt nicht vegleichbar mit dem Bremsverhalten einer ollen Trude. Als ich in St. Tropez die "modernen" Harleys fahren durfte, habe ich das Bremsen mit dem Fuß auch hier komplett ignoriert - bei Susi ist das Bremsen mit der Hinterbremse nur dazu da, damit der Sattel sich nicht festsetzt bzw. um den Rost von der Scheibe zu kratzen. Fährt man einen alten Chopper, muss man sich immens umgewöhnen. Vorausschauendes Fahren heißt da das Zauberwort. Ja ich weiß, das tun die mit der GS und den Supersportlern auch - allerdings verzögert da die Bremsanlage doch etwas moderater.
Kurvenfahren für Fortgeschrittene
Ein spezielles Flachland-Tiroler-Chopper-Kurven-Training verweigere ich auch, weil ich hier genügend Berge, Kurven und Kehren fast täglich zur Arbeit und zurück fahre. Autoschlangen ziehe ich nicht hinter mir her und auf der Strecke überhole ich noch Dosen, so erlaube ich mir zu behaupten, dass ich die Kurventechnik für den flüssigen Kurven-Berg-Verkehr beherrsche. Selbst Schatzi ist mittlerweile überrascht, dass ich in kurvigem Gelände im Rückspiegel nicht kleiner werde :-)
Schatzi ist der Beste
Im Endeffekt hat mich das Fahren-Fahren-Fahren-Fahren weitergebracht. Besonders das Fahren mit Schatzi, der ein Virtuose auf seiner Intruder ist. Die beiden sind ja auch schon seit 16 Jahren zusammen ... Schatzi fährt eine super Kurvenlinie und er hat mir viel zum Thema Überholen beigebracht.
Also: warum sollte ich mit einem 20 Jahre alten Eisenhaufen, dessen Technik noch aus den 80ern stammt, ein Fahrsicherheitstraining bei einem Trainer machen, der einen modernen Tourer oder Sportler fährt? Merke: lieber selber üben, üben, üben.
Wie soll mir denn auch ein Trainer, der auf einer Tourenmaschine sitzt und noch nie Chopper gefahren ist, etwas erklären? Ich kann weder Fahrübungen stehend auf meinen Fußrasten machen, noch mich auf die Sitzbank knieen oder Wenden auf Briefmarken machen. Das gibt die Fahrzeuggeometrie einfach nicht her.
Das einzige Training, das ich SOFORT buchen würde wäre, wenn Jerry Palladino hier in Deutschland ein paar Kurse abhielte ... DAS ist ein Eisenhaufen-Gott! Der darf mich gerne in die schwierigsten Kapitel des Eisenhaufen-um-Hütchen-in-engsten-Radien-Fahrens einweihen :-)
31.12.2018 - Nachtrag - Kurventechnik für Chopperfahrer
Ich habe jetzt einen Beitrag über Kurventechnik für ChopperfahrerInnen verfasst, der auf die besonderen Umstände eines Eisenhaufenfahrers eingeht:
Kurventechnik für ChopperfahrerInnen