Ihr denkt jetzt wohl, dass ich nicht richtig rechnen kann? Ich geb's ja zu, ich leide an Diskalkulie. Aber ein Saisonkennzeichen bleibt eine umstrittene Bruchrechnung.
In diversen Facebook-Gruppen und Foren werden Bruchstrichfahrer als "Weicheier" und "Geizhälse" verschrien. Dabei dachte ich, wir wären alle eine Gruppe, die sich durch's Motorradfahren eint. Dem scheint nicht immer so. Das hat mich doch schon öfter geärgert. So möchte ich mit diesem Artikel Aufklärung betreiben, was den Grund eines Saisonkennzeichens haben kann.
Ich bin böse
Betrachten wir mal die schreienden "Ganzjahresfahrer": Entweder fahren sie ein all-inclusive-Touren-Bike mit Heizgriffen und Eierwärmern und haben selbst genügend Isolationsmaterial ständig bei sich oder es sind die Endurofahrer, die weder Tod noch Teufel kennen oder auch diverse Nackerte-Fahrer, die mehr vorgeben zu sein, als sie es sind (Ironie aus)
Oh - ich bin böse. Gerne. Wenn ich beleidigt werde, möchte ich mich verteidigen dürfen. Gehen wir näher in die Betrachtung der oben aufgeführten Argumente für das Ganzjahresfahren mit Einbeziehung der Vehikelarten Tourenmotorrad, Enduro und Nackerte.
All-Inclusive-Bikes
Beim Tourenmotorrad (nicht nur bei dem, ich nenne es hier nur stellvertretend für alle modernen Bikes) gibt's diverse elektronische Helferlein, die das Fahren auf jeglichen Untergründen bzw. zu jeder Witterung mit einem Knopfdruck an die äußeren Umstände anpassen - genannt "Fahrmodi". Mit ABS, Anti-Schlupfreglung und anderen lustigen Mainzelmännchen an Bord wird das Fahren zum Kinderspiel. Warum macht man dafür eigentlich noch einen Motorradführerschein?
Stellen wir nun mal Susi dagegen: Fahrmodi wählbar? Nun ja - ich habe einen Fahrmodus, der da heißt: Fahr mit Verstand. Alle anderen Fahrmodi überlege ich mir, wenn ich drauf sitze.
ABS? Meine Karre ist so schwer, dass die Gute auch bei einer Vollbremsung mit der unterirdischen Bremsanlage bisher noch nie blockiert hat. Donuts und Burnouts scheitern schlichtweg am Bremssattel.
Antischlupfregelung? Heißt bei mir gefühlvolles rechtes Handgelenk und Vorausschauendes Fahren. Wer wie blöd am Kabel zieht und nicht auf die Witterung, Straßenbelag und andere Umwelteinflüsse achtet, gehört meiner Meinung nach nicht auf ein Motorrad sondern weggesperrt. Susi hat rund 100 Nm und die sind bei Regen mit Vorsicht zu genießen.
Marathonschuhe für den Chopper
Wo wir gerade bei durchdrehenden Reifen sind: so ein warmer Reifen, der gerne am Straßenbelag kleben bleibt, ist für die Rennsemmelfahrer ein normaler Zustand. Die Gummimischung ist weich, hält aber auch nur 3.000 km. Das genügt jemandem, der wenig fährt
Cruiser-Reifen werden aber nicht so schnell warm. Ein Metzeler Marathon heißt nicht so, weil er für besonders schnelle Motorräder konzipiert wurde, sondern weil man damit gut und gerne 10.000 km drauf herumrutschen kann. Im Herbst bei kaltem Asphalt wird der Vorderreifen gar nicht und hinten die Pelle nur noch bedingt warm. Schlussfolgerung: Die Haftung im Herbst ist grenzwertig = die Sicherheit leidet.
Ach ja - das gesamte Äußere unterscheidet sich ebenfalls: Susi ist Bling-Bling und mag ungern Wasser. Bei einem Plastik-Hobel oder ner Enduro spielt Wasser von allen Seiten keine Rolle. Ab unter die Kärcherdusche und fertig. Ein Chopper-Mädchen möchte da gerne etwas anders behandelt werden (siehe Saison-Ende). Drum darf sie im Winter gemeinsam mit der Trude von Schatzi in der Garage schlafen.
Bis hier haben wir festgestellt, dass sich Motorräder, obwohl alle zwei Räder haben, in vielen Details doch unterscheiden. Seltsam ....
Geizhals und Weichei
Jetzt möchte ich noch kurz auf die "Weichei" und "Geizhals" schreienden Fahrer eingehen - ganz ironisch natürlich. Wer sich angesprochen fühlt, darf sein schlechtes Gewissen behalten ;-)
Hubraumtechnisch liege ich mit meiner Susi ziemlich weit vorne (1360 cm³), was bedeutet, dass ich in der Saison 67,- € (101,- €/anno) Steuern zahle. Ein Fahrer mit einer GS800 F zahlt weniger im ganzen Jahr. Versicherungstechnisch liege ich so bei 60,-€ / Saison. Aber das ist mir auch egal - ich fahre nicht im Winter.
Ich zähle mich als Frau nicht als Weichei. Wenn ich im März bei 3° C morgens um 7 Uhr auf mein Mopped steige und 26 km ins Büro fahre, sieht man noch recht wenig von den sogenannten "Ganzjahresfahrern" auf der Straße. Da kommen mir mehr hartgesottene Roller- und Mofafahrer entgegen als ausgewachsene Motorräder. Nachmittags, wenn es dann erträgliche Temperaturen über +10° C hat, gibt's davon schon mehr zu sehen und zu grüßen. Außerdem: Laufen gehört zu meinem zweiten Hobby und das übe ich auch bei Wind und Wetter und Schnee aus. Weichei definiere ich anders.
Was gelernt?
Wenn Ihr bis hier her gelesen habt - was habt ihr gelernt? Genau - es gibt MotorradfahrerInnen, die weder ein All-inclusive-Touren-Bike, Enduro oder Nackerte oder sonstwas "Ganzjahrestaugliches" fahren. Aber trotzdem fahren wir alle Motorrad und das sollte uns von Fingerzeigen und Beleidigungen abhalten - weil jeder sein Hobby, seine Leidenschaft anders lebt. Und mal ehrlich: Wer fährt im Winter tatsächlich bei -10° C statt auf dem Weihnachtsmarkt einen Glühwein zu schnudeln?